

Demenz und andere neurodegenerative Erkrankungen nehmen weltweit zu – mit gravierenden Folgen für Betroffene und Gesellschaft. Die Forschung sucht fieberhaft nach Lösungen, doch ein Durchbruch bleibt aus. Schon seit Jahrtausenden setzen Menschen auf Heilpflanzen für geistige Fitness. Doch was ist dran? Können pflanzliche Wirkstoffe tatsächlich Nervenzellen schützen? Welche Studien belegen das – und wo stößt die Naturmedizin an ihre Grenzen?
Die Untersuchung pflanzlicher Wirkstoffe bietet neue Hoffnung im Kampf gegen neurodegenerative Erkrankungen. Foto: Shutterstock
Der Begriff Neuroprotektion beschreibt Strategien zum Schutz von Nervenzellen vor Schäden und vorzeitigem Absterben – ein essenzieller Ansatz, da Nervenzellen im Zentralnervensystem nicht regeneriert werden. Schädigungen können durch akute Ereignisse wie Schlaganfälle oder Verletzungen entstehen, aber auch durch neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Multiple Sklerose (MS). Zudem setzen Umweltfaktoren und der natürliche Alterungsprozess den Nervenzellen zu. Angesichts der steigenden Lebenserwartung und der zunehmenden Verbreitung neurodegenerativer Erkrankungen wird die Zahl der Betroffenen in den kommenden Jahrzehnten erheblich steigen.6
Neuroprotektion kann auf verschiedenen Wegen erfolgen – von Lebensstiländerungen wie gesunder Ernährung und Bewegung bis hin zu modernen biomedizinischen Ansätzen wie Stammzell- oder Gentherapie. In diesem Text geht es um den derzeit wichtigsten und vielversprechendsten Ansatz: pharmakologische Maßnahmen.18
Bevor wir uns der pflanzlichen Neuroprotektion widmen, lohnt sich ein Blick auf die aktuellen medikamentösen Therapien. Die derzeit verfügbaren neuroprotektiven Pharmaka sollen Nervenzellen vor schädlichen Einflüssen schützen und die Degeneration des Nervensystems verlangsamen oder im besten Fall aufhalten. Sie wirken auf unterschiedliche biochemische Prozesse, die beim Abbau von Nervenzellen eine zentrale Rolle spielen – darunter Veränderungen in den Neurotransmittersystemen, oxidativen Stress, Entzündungsreaktionen und die pathologische Anhäufung fehlgefalteter Proteine.18
Allerdings haben die derzeit zugelassenen Medikamente zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen keine heilende Wirkung. Sie können den Krankheitsverlauf lediglich verzögern, bereits verlorene Nervenzellen aber nicht wiederherstellen. Zudem sind viele dieser Medikamente mit unerwünschten Nebenwirkungen, hohen Kosten und nachlassender Wirksamkeit über die Zeit verbunden. Daher wächst das Interesse an neuen Therapieansätzen – insbesondere an pflanzlichen Wirkstoffen, die als mögliche Alternativen oder Ergänzungen zur Schulmedizin untersucht werden.7
Pflanzen werden seit Jahrtausenden in der Heilkunde genutzt – ein Wissen, das auch in der modernen evidenzbasierten Medizin Anwendung findet. Durch die gezielte Extraktion und Anreicherung bestimmter Wirkstoffe lassen sich standardisierte Phytopharmaka entwickeln, die in der Therapie neurodegenerativer Erkrankungen bereits eine Rolle spielen. Zudem ermöglichen moderne Analysemethoden, pflanzliche Wirkstoffe zu isolieren, chemisch zu synthetisieren oder gezielt zu modifizieren.6
Im Gegensatz zu synthetischen Medikamenten bestehen Pflanzenextrakte aus einem komplexen Gemisch zahlreicher bioaktiver Substanzen, deren Wechselwirkungen oft noch nicht vollständig erforscht sind. Das kann zu Schwankungen in der Wirksamkeit führen, macht Phytopharmaka aber zugleich vielversprechend – insbesondere bei Erkrankungen mit multifaktoriellen Ursachen wie Alzheimer oder Parkinson. Durch das Zusammenspiel verschiedener Wirkstoffe könnten Pflanzenextrakte mehrere krankheitsrelevante Mechanismen gleichzeitig beeinflussen.5 Zudem sind pflanzliche Präparate oft niedriger dosiert und damit potenziell besser verträglich.
In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche Pflanzenstoffe auf ihre neuroprotektiven Eigenschaften untersucht – sowohl in Laborversuchen (in vitro) als auch in Tierversuchen (in vivo).1,2,3,6,9,11,12,14,20 Dabei zeigten viele Extrakte antioxidative, entzündungshemmende und zellschützende Effekte. Besonders bei Alzheimer und Parkinson gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte Substanzen den Krankheitsverlauf verlangsamen könnten.
Ob diese vielversprechenden Effekte auch auf den Menschen übertragbar sind, bleibt jedoch offen. Klären kann das nur die klinische Forschung – am besten durch große, placebo-kontrollierte Doppelblindstudien. Erst sie können zeigen, welche Pflanzenwirkstoffe tatsächlich therapeutisches Potenzial haben und in welcher Dosierung sie sicher und wirksam sind.6
Mit Curcumin gegen Gehirnalterung.
Während einige Pflanzenstoffe bereits intensiv untersucht wurden, stehen andere noch am Anfang wissenschaftlicher Prüfungen. Doch welche pflanzlichen Verbindungen sind besonders vielversprechend? In diesem Abschnitt werfen wir einen genaueren Blick auf einige der bekanntesten neuroprotektiven Pflanzenstoffe, die in der Wissenschaft besondere Aufmerksamkeit erhalten.
Kurkuma (Curcuma longa), eine in Südostasien beheimatete Pflanze aus der Familie der Ingwergewächse, wird seit Jahrhunderten als Gewürz und Heilpflanze genutzt. Ihr Hauptwirkstoff, das leuchtend gelbe Flavonoid Curcumin (Diferuloylmethan), ist der wichtigste bioaktive Bestandteil und wird für seine vielfältigen pharmakologischen Effekte intensiv erforscht. Neben Curcumin enthält die Wurzel weitere Curcuminoide sowie ätherische Öle wie Tumeron, Atlanton und Zingiberon.7,12
In zahlreichen Labor- und Tierstudien wurde Curcumin auf seine potenziell schützenden Effekte auf das Nervensystem untersucht.7,12,13,17 Dabei zeigte sich, dass es antioxidative, entzündungshemmende und anti-amyloide Eigenschaften besitzt. So konnte Curcumin in Alzheimer-Modellen die Ablagerung von Amyloid-Plaques reduzieren und Verhaltensstörungen verbessern. In Parkinson-Tiermodellen zeigte es eine schützende Wirkung auf dopaminerge Neuronen, reduzierte entzündungsfördernde Enzyme und verbesserte motorische Defizite. Darüber hinaus wurde in experimentellen Studien beobachtet, dass Curcumin verschiedene Wachstumsfaktoren wie BDNF, GDNF und PDGF stimulieren kann, was eine entscheidende Rolle für die Regeneration von Nervenzellen (Neurogenese) und die Bildung neuer Synapsen (Synaptogenese) spielt. Auch in Schlaganfall-Modellen erwies sich Curcumin als vielversprechend: Es konnte Neuronen vor ischämisch bedingtem Zelltod schützen und kognitive Defizite nach einer Durchblutungsstörung des Gehirns abmildern.
Obwohl präklinische Untersuchungen vielversprechend sind, bleibt die Wirksamkeit beim Menschen unklar. Eine Meta-Analyse von Panknin et al. (2023) ergab uneinheitliche Ergebnisse.15 Während einige Studien entzündungshemmende Effekte von Curcumin bestätigten, fehlen belastbare Belege für eine neuroprotektive Wirkung bei Erkrankungen wie Alzheimer, ALS oder Multipler Sklerose. Die größte Herausforderung ist die geringe Bioverfügbarkeit: Curcumin ist schlecht wasserlöslich, wird vom Körper nur begrenzt aufgenommen und schnell wieder ausgeschieden. Synthetisch modifizierte Curcumin-Formulierungen könnten dieses Problem lösen.4
Ginkgo biloba, eine ursprünglich aus China stammende Baumart, zählt heute zu den am intensivsten untersuchten Heilpflanzen. Die Blätter enthalten eine Vielzahl bioaktiver Substanzen, darunter Bilobalide, Ginkgolide, Quercetin, Isorhamnetin und Kaemferol. Gleichzeitig sind jedoch auch unerwünschte Ginkgolsäuren enthalten, die in standardisierten Extrakten entfernt werden.
Studien zeigen, dass Ginkgo-Extrakte in Labor- und Tierversuchen antioxidative, neuroprotektive und durchblutungsfördernde Eigenschaften besitzen. Besonders in hohen Dosierungen wird dem Pflanzenstoff eine kognitionsfördernde und antidementive Wirkung zugeschrieben. Ginkgo-Präparate werden daher vor allem in Europa und den USA zur symptomatischen Behandlung von Alzheimer, leichten kognitiven Störungen sowie zur Verbesserung der Hirndurchblutung und Gedächtnisleistung eingesetzt.11
Klinische Studien belegen, dass hochdosierte Ginkgo-Präparate bei Alzheimer-Patienten im Frühstadium eine leichte, aber signifikante Verbesserung der kognitiven Funktionen bewirken können – vorausgesetzt, sie werden über einen längeren Zeitraum regelmäßig eingenommen.19
Tee gehört zu den weltweit beliebtesten Getränken und enthält neben Koffein auch wertvolle sekundäre Pflanzenstoffe wie Polyphenole, Mineralstoffe, Aminosäuren und Vitamine. Die genaue Zusammensetzung variiert je nach Fermentations- und Zubereitungsverfahren. Grüner Tee gilt als besonders reich an Antioxidantien und wird daher mit verschiedenen gesundheitlichen Vorteilen in Verbindung gebracht.
Vor allem die enthaltenen Polyphenole, insbesondere das Katechin Epigallocatechingallat (EGCG), könnten eine neuroprotektive Wirkung entfalten. Studien deuten darauf hin, dass EGCG antioxidative Enzyme aktiviert und die Amyloid-induzierte Neurotoxizität hemmen kann – ein Mechanismus, der bei Alzheimer eine Rolle spielt. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass EGCG neuronale Wachstumsfaktoren moduliert, die für den Schutz und die Regeneration von Nervenzellen wichtig sind.
Trotz dieser vielversprechenden Ergebnisse aus Labor- und Tierversuchen ist die wissenschaftliche Evidenz für eine direkte neuroprotektive Wirkung beim Menschen bislang begrenzt. Hochwertige klinische Studien fehlen, um den therapeutischen Nutzen von grünem Tee bei neurodegenerativen Erkrankungen eindeutig zu belegen.16
Die Blätter der ursprünglich mediterranen Pflanze Rosmarin enthalten ätherische Öle, die nicht nur als Gewürz, sondern auch in der Medizin genutzt werden. Zu den wichtigsten bioaktiven Inhaltsstoffen zählen Di- und Triterpene sowie verschiedene Phenolsäuren, darunter Rosmarinsäure, Carnosinsäure, Rosmanol, Carnosol, Ursolsäure und Betulinsäure.10
Ein Übersichtsartikel von Faridzadeh et al. (2022) fasst die bisherige Forschung zu den neuroprotektiven Eigenschaften von Rosmarin zusammen.8 In In-vitro- und In-vivo-Studien wurden antioxidative, entzündungshemmende und Anti-Acetylcholinesterase-Aktivitäten festgestellt, die potenziell positive Effekte auf das Nervensystem haben könnten. Allerdings fehlen bislang hochwertige klinische Studien, die eine neuroprotektive Wirkung oder kognitive Verbesserungen beim Menschen eindeutig belegen. Weitere Forschung ist erforderlich, um das therapeutische Potenzial von Rosmarin zu validieren.
Im November 2024 veröffentlichte die Fachzeitschrift Food & Function eine Studie, in der spezifische Pflanzenstoffe identifiziert wurden, die das Gehirn möglicherweise vor oxidativem Stress und neurodegenerativen Prozessen schützen können.20
Die Forschenden analysierten die Zusammensetzung und Konzentration von Phytochemikalien in sechs Pflanzen: Queen Garnet Pflaume (eine Anthocyan-reiche Pflaumensorte aus Australien), schwarzer Pfeffer, Gewürznelke, Holunderbeere, Zitronenmelisse und Salbei. Mithilfe der Massenspektrometrie bestimmten sie die Konzentrationen von Phenolen und Terpenen und untersuchten deren antioxidative und neuroprotektive Wirkungen in Zellkulturen.
Die Ergebnisse zeigen, dass bestimmte Pflanzenstoffe besonders vielversprechend für den Schutz der Nervenzellen sind:
Diese Erkenntnisse unterstreichen das wachsende wissenschaftliche Interesse an sekundären Pflanzenstoffen und deren potenzielle Rolle im Schutz des Gehirns.
Zahlreiche wissenschaftliche Studien der letzten Jahre zeigen, dass Dutzende von Pflanzen neuroprotektive Eigenschaften besitzen oder zumindest vielversprechende Hinweise darauf liefern. Besonders pflanzliche Phenole und Terpene stehen im Fokus der Forschung, da sie potenziell zur Prävention und Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen beitragen könnten.
Um ihre Wirksamkeit zu bestätigen, sind künftig mehr qualitativ hochwertige klinische Studien erforderlich. Diese sollten standardisierte pflanzliche Arzneimittel gezielt auf ihre Effekte bei neurologischen Erkrankungen untersuchen. Gleichzeitig sind weitere In-vivo- und In-vitro-Studien notwendig, um die zugrunde liegenden Wirkmechanismen besser zu verstehen.
Ein Beispiel für ein vielversprechendes pflanzliches Neuroprotektivum ist Curcumin. Es gilt als sichere Verbindung mit großem medizinischem Potenzial – auch für die Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen. Eine zentrale Herausforderung bleibt jedoch die geringe Bioverfügbarkeit, die durch gezielte Modifikationen verbessert werden muss, um eine wirksame Anwendung zu ermöglichen.