Cannabis und das Gehirn: Harmlos oder unterschätzte Gefahr?

Cannabis ist in Deutschland teilweise legalisiert und wird zunehmend auch medizinisch genutzt. Doch welche Auswirkungen hat der Konsum auf das Gehirn – insbesondere langfristig? Zwei aktuelle Studien liefern dazu widersprüchliche Ergebnisse.

Modell eines menschlichen Gehirns neben einer braunen Papiertüte mit Cannabis-Symbol – Darstellung der möglichen Auswirkungen von Cannabis auf die Gehirnfunktion.

Hat Cannabis langfristige Auswirkungen auf das Gehirn? Foto: Shutterstock

Widersprüchliche Studien zu den Langzeitfolgen von Cannabiskonsum

Cannabis wird nicht erst seit der teilweisen Legalisierung in Deutschland intensiv diskutiert – auch der medizinischer Einsatz nimmt seit einigen Jahren zu. Doch welche langfristigen Auswirkungen hat der Konsum auf das Gehirn? Die Forschung liefert hierzu bislang widersprüchliche Erkenntnisse. Zwei aktuelle Studien zu den Langzeiteffekten von Cannabis kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen:

  • Eine im September 2024 in JAMA Network Open veröffentlichte Studie untersuchte die Auswirkungen eines einjährigen medizinischen Cannabiskonsums auf die Gehirnaktivität. Die Ergebnisse zeigten keine messbaren negativen Effekte auf kognitive Funktionen.1
  • Eine zweite Studie, veröffentlicht im Januar 2025 im selben Fachjournal, analysierte die Hirnaktivität von etwa 1000 Erwachsenen, von denen rund ein Viertel Cannabis als Rauschmittel konsumierte. Hier zeigte sich, dass langfristiger Konsum die Gehirnaktivität bei Aufgaben zum Arbeitsgedächtnis dauerhaft verändert.2

Studie 1: Keine nachweisbaren Veränderungen durch medizinischen Cannabiskonsum

An der ersten Studie nahmen 57 Erwachsene im Alter von 18 bis 65 Jahren teil, die erstmals medizinisches Cannabis gegen Angststörungen, Depressionen, Schlafstörungen oder Schmerzen erhielten.1 Zur Kontrolle wurde eine zweite Gruppe mit 32 gesunden Personen ohne Cannabiskonsum untersucht.

Um die Auswirkungen des Konsums zu messen, wurde die Gehirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) während kognitiver Aufgaben erfasst – einmal zu Beginn der Studie und erneut nach einem Jahr. Personen mit täglichem Cannabiskonsum oder diagnostizierter Cannabisgebrauchsstörung waren ausgeschlossen.

Nach einem Jahr zeigte sich keine signifikante Veränderung der Hirnaktivität in den untersuchten kognitiven Bereichen:

  • Arbeitsgedächtnis & Impulskontrolle: Keine Unterschiede zwischen den Messzeitpunkten.
  • Belohnungssystem: Die fMRT-Messungen ergaben keine Veränderungen.
  • Konsumhäufigkeit: Weder eine Zunahme noch eine Reduzierung des Konsums hatte messbare Auswirkungen auf die Hirnaktivität.

Die Ergebnisse legen nahe, dass medizinischer Cannabiskonsum über ein Jahr hinweg keine negativen Auswirkungen auf die kognitiven Funktionen des Gehirns hat.

Studie 2: Freizeitkonsum von Cannabis beeinflusst die Hirnaktivität

Die zweite Studie ist die bisher umfangreichste ihrer Art.2 Untersucht wurden 1003 junge Erwachsene, die in drei Gruppen eingeteilt wurden:

  • 88 starke Cannabiskonsumenten
  • 179 moderate Konsumenten
  • Rest (73,4 %): Keine Cannabis-Nutzer

Die Teilnehmenden absolvierten Tests zu sechs kognitiven Funktionen, darunter Arbeitsgedächtnis, Sprachverarbeitung, logisches Denken und soziale Informationsverarbeitung. Währenddessen wurde ihre Gehirnaktivität mithilfe funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) gemessen.

Im Vergleich zu Nicht-Konsumenten zeigte sich:

  • Geringere Gehirnaktivität im Arbeitsgedächtnis: Starke und moderate Konsumenten wiesen eine signifikant reduzierte Hirnaktivität in den für das Arbeitsgedächtnis relevanten Bereichen auf.
  • Kurzfristige Beeinträchtigung: Personen, die in den Tagen vor den Tests Cannabis konsumiert hatten, erzielten schlechtere Ergebnisse im Arbeitsgedächtnis-Test.
  • Langjährige Konsumenten ohne messbare Defizite: Obwohl langjährige Konsumenten eine veränderte Hirnaktivität aufwiesen, schnitten sie in den Tests nicht schlechter ab.
  • Keine Effekte in anderen kognitiven Bereichen: In den Bereichen Sprache, logisches Denken und soziale Informationsverarbeitung gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen Konsumenten und Nicht-Konsumenten.

Die Interpretation der Ergebnisse ist nicht eindeutig. Die Studie deutet darauf hin, dass langfristiger Cannabiskonsum die Hirnaktivität beim Arbeitsgedächtnis dauerhaft verändert. Allerdings bleibt unklar, ob dies tatsächlich mit kognitiven Defiziten einhergeht. Auffällig ist, dass nur kurzfristiger Konsum in den Tagen vor dem Test zu einer messbaren Verschlechterung der Testergebnisse führte.

Fazit: Cannabis und das Gehirn – die Wissenschaft bleibt uneinig

Die aktuelle Forschung zu den langfristigen Auswirkungen von Cannabis auf das Gehirn liefert widersprüchliche Ergebnisse. Während eine Studie zeigt, dass medizinischer Cannabiskonsum über ein Jahr keine messbaren negativen Effekte auf kognitive Funktionen hat, deutet eine andere darauf hin, dass langfristiger Freizeitkonsum die Gehirnaktivität beim Arbeitsgedächtnis verändert.

Ob diese Veränderungen tatsächlich zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit führen, bleibt unklar. Fest steht, dass akuter Konsum in den Tagen vor einem Test die Gedächtnisleistung vorübergehend verschlechtern kann.

Langfristig sind weitere groß angelegte Studien erforderlich, um die tatsächlichen Auswirkungen besser zu verstehen. Insbesondere junge Menschen, deren Gehirn sich noch in der Entwicklung befindet, könnten einem höheren Risiko ausgesetzt sein. Die Debatte um die Sicherheit von Cannabis bleibt also weiterhin offen.

Quellen anzeigen
  1. Burdinski DCL, Kodibagkar A, Potter K, et al. Year-Long Cannabis Use for Medical Symptoms and Brain Activation During Cognitive Processes. JAMA Network Open. 2024 Sep 3;7(9):e2434354.
  2. Gowin JL, Ellingson JM, Karoly HC, et al. Brain Function Outcomes of Recent and Lifetime Cannabis Use. JAMA Network Open. 2025 Jan 2;8(1):e2457069.
Dr. Markus Numberger, promovierter Neurowissenschaftler und medizinischen Fachautor, spezialisiert auf molekulare Neurobiologie, Komplementär- und Integrativmedizin sowie medizinische Kommunikation. Dr. rer. nat. Markus Numberger
Mit einer beeindruckenden Laufbahn, die ihn unter anderem ins Labor des Medizin-Nobelpreisträgers Bert Sakmann führte, ist Dr. Markus Numberger ein herausragender Experte in molekularer Neurobiologie. Seine wissenschaftliche Neugier und sein tiefgründiges Fachwissen, ergänzt durch Forschungsaufenthalte in den USA und an der Charité Berlin, ermöglichen es ihm, die Komplexität der Komplementär- und Integrativmedizin verständlich zu vermitteln.
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